Aus gegebenen Anlass – Diskussion über „Schichtzeit“ von Kraftfahrern

Es kam mal wieder eine Diskussion unter Kollegen auf, in der es darum ging, wieviel 15-Stunden-Schichtzeiten ein Kraftfahrer pro Woche machen darf.
Zu aller erst muss gesagt werden, dass es die Bezeichnung „Schichtzeit“ so nicht mehr gibt. Sondern sie ergibt sich rein rechnerisch.

Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 besagt unter anderem, dass:

– eine tägliche Ruhezeit regelmäßig mindestens elf zusammenhängende Stunden betragen muss und drei Mal pro Kalenderwoche eine Reduzierung auf mindestens neun zusammenhängende Stunden möglich ist (keine Ausgleichspflicht der „Minderstunden“),
Man DARF also 3x die Woche 9 Stunden Ruhezeit machen, wobei dann 3x die Woche 15 Stunden „Schichtzeit“ bleiben würden (24 Std-Zeitraum minus 9 Std. Ruhezeit gleich 15 Std. „Schichtzeit“)
Allerdings MUSS ein Fahrer mindestens 2x die Woche 11 Stunden Ruhezeit einhalten, wobei hier eine „Schichtzeit“ von 13 Stunden bleiben würde (24 Std.-Zeitraum minus 11 Std. Ruhezeit gleich 13 Std. „Schichtzeit“)

Wichtig im Zusammenhang mit der „Schichtzeit“ ist das Arbeitszeitgesetz, welches besagt:

§ 21a Beschäftigung im Straßentransport:
„Die Arbeitszeit darf 48 Stunden wöchentlich (8 Stunden täglich) nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu 60 Stunden (10 Stunden täglich) verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich (8 Stunden täglich) nicht überschritten werden.“

Auch das mit gemischten Gefühlen zu betrachtende Thema der „Schichtzeit“, das stets im Zusammenhang mit der Arbeitszeitgesetzgebung zu sehen ist, geht vermeintlich auf den 24-Stunden-Zeitraum zurück.

Zunächst ist festzuhalten, dass auf deutschem Hoheitsgebiet das Arbeitszeitgesetz gilt. Auf europäischer Rechtsebene gibt es mit der Richtlinie 2002/15/EG ein in nationales Recht umgesetztes Regelwerk, dass gleichlautende Grenzen für die
Beschäftigungsdauer eines Arbeitnehmers vorgibt. Ja sogar die Arbeitszeit selbstfahrender Unternehmer im gewerblichen Güterkraft- und Personenverkehr ist mittlerweile eingeschränkt worden.

Nach den arbeitszeitrechtlichen Vorschriften ist bei durchschnittlich acht Stunden Arbeit pro Tag Schluss, eine Ausdehnung auf täglich maximal zehn Stunden ist bei Einhaltung des 8-Stunden-Durchschnitts innerhalb festgelegter Ausgleichszeiträume möglich. Diese 10-Stunden-Begrenzung stellt also die grundsätzliche Obergrenze der Arbeitstätigkeit nach geltendem Recht dar. Auch der Umstand, dass das Fahrpersonalrecht als sogenanntes „lex specialis“ dem Arbeitszeitrecht übergeordnet ist, ändert an dieser Tatsache nichts. Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Fahrer, der seine Lenkzeit von neun Stunden voll ausschöpft, noch maximal eine Stunde mit anderen Arbeiten verbringen kann. Wird die Lenkzeit auf zehn Stunden ausgeweitet, bleibt keinerlei Spielraum für andere Arbeiten mehr.

Nun kommt die Praxis und somit der 24-Stunden-Zeitraum in Spiel. Lässt man die Arbeitszeitgesetzgebung außer Acht, und das scheint für viele, wenn nicht gar die Mehrheit Fahrer zuzutreffen, ergibt sich folgende Rechnung: 24 Stunden minus elf (oder
neun) Stunden Ruhezeit ergibt 13 (oder 15) Stunden für Arbeitstätigkeiten. Diese Rechenweise hat sich bei vielen Unternehmen etabliert, Wettbewerbsdruck und mangelnde Kontrolle hat diese Auslegung verfestigt. Mit der Arbeitszeitgesetzgebung geht das
natürlich in keiner Weise konform. Es erscheint aber nicht allzu weit hergeholt, dass ohne das Konstrukt des 24-Stunden-Zeitraumes eine solche Rechnung nicht angestellt werden könnte.

Vor dem Hintergrund, dass die Sozialvorschriften neben einer Steigerung der Verkehrssicherheit und anderen Zielen auch insbesondere den Schutz der Arbeitnehmer vor überlangen Arbeitszeiten, die ja direkte Auswirkung auf die Straßenverkehrssicherheit haben, bezwecken, ist dieses 24-Stunden-Zeitraum-Konstrukt zusätzlicher Kritik ausgeliefert. Aber seitens des Gesetzgebers endet das widersprüchliche Verhalten an dieser Stelle nicht. Über das Instrument der Bereitschaftszeiten ergibt sich eine Handhabe, den Fahrer während der resultierenden 13 bzw. 15 Stunden auch tatsächlich im
Rahmen seiner Arbeitstätigkeit einzusetzen.

Für jene Fahrer, die Fahrzeuge bewegen, die unter die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 fallen, hat der Gesetzgeber besondere Regelungen bezüglich der Bereitschaftszeit eingeräumt. Ist dem Fahrer die Dauer einer Wartezeit, während der er (offiziell) nicht
arbeitet, im Voraus bzw. direkt vor Beginn der Wartezeit bekannt, zählt dieser Zeitraum weder als Arbeits- noch als Ruhezeit oder als Pause. Die Tätigkeit wird also unterbrochen, ohne dass die anderen Zeitkontingente, insbesondere die zur Verfügung
stehende Arbeitszeit, gemindert wird.

Dass heißt nicht, dass ein Fahrer 13 oder 15 Stunden arbeitet, aber zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende liegen dann eben bis zu 15 Stunden. Auf der einen Seite kann bezweifelt werden, dass „der Zeitraum“ im Vorfeld oder direkt zu Beginn der
Wartezeit stets exakt beziffert werden kann. Bekommt der Fahrer die Information, er müsse 30 Minuten bis zur Entladung warten, tatsächlich geht es aber bereits nach 20 Minuten weiter, würde es sich bei einer engen Auslegung, von der grundsätzlich auszugehen ist, nicht um eine Bereitschaftszeit, sondern um Arbeitszeit handeln. In gleicher Weise würde sich eine tatsächliche 40-minütige Wartezeit auswirken.

Auf der anderen Seite kann eine wirksame Kontrolle der Thematik nur sehr eingeschränkt stattfinden. Im Arbeitszeitgesetz ist nur geregelt, wann es sich um eine Bereitschaftszeit handeln kann – ein Nachweis, etwa in der Form, dass der Fahrer die ihm
benannte Wartezeit schriftlich festhalten oder seiner Disposition melden muss, findet sich im Gesetzestext nicht. Für einen Kontrollbeamten ergibt sich somit kein stichhaltiger Hinweis, ob die Bereitschaftszeit rechtskonform als solche ausgewiesen
wurde oder nicht. Der Fahrer hat legal alle Möglichkeiten, im Nachhinein die faktische Wartezeit als die ursprünglich verkündete auszugeben.

Nebenbei dürfte dies auch einer der vielen Gründen sein, weshalb der Beruf des Kraftfahrers derart unattraktiv erscheint, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein massiver Mangel an Kraftfahrern vorherrschen wird. Außerdem senkt das Instrument
der Bereitschaftszeit den Druck auf die Akteure und hier insbesondere die Empfänger und Verlader, die Logistikketten zu optimieren und das vermeintlich drängendste Problem – lange Wartezeiten an den Rampen – anzugehen. Ganz nach dem Motto: soll der Fahrer eben auf die Be- oder Entladung warten – er kann ja auf Bereitschaftszeit umstellen. Würde diese Möglichkeit gekappt und die Arbeitsdauer der Fahrer dadurch auf ein sozialverträgliches Maß verringert, hätten die Fahrer einen attraktiveren
Arbeitsplatz und auch die Rampenproblematik, um deren Linderung sich sogar das BMVBS müht, würde aufgrund der neuen Gegebenheiten wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit gelöst werden.

Drittens könnte sich ein positiver Effekt für die Straßenverkehrssicherheit einstellen, da Fahrer, die (regelmäßig) 13- oder 15-Stunden-Schichten erbringen, sicher nicht die „ausgeschlafensten“ sind. Paradoxerweise können übrigens Fahrer von leichten Nutzfahrzeugen (bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 3.500 kg oder mit maximal acht Fahrgastsitzplätzen, von denen im Falle eines Unfalls ein deutlich geringeres Risiko ausgeht als von schweren Nutzfahrzeugen), Wartezeiten nicht als
Bereitschaftszeiten ausweisen. Hier zählen diese immer als Arbeitszeit.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die „Erfindung“ des fahrpersonalrechtlichen 24-Stunden-Zeitraumes einen flexibleren Einsatz des Fahrpersonals ermöglicht und somit auch den individuellen betrieblichen Gegebenheiten und dem generellen Geschäftsgebaren im Logistiksektor zu Gute kommt. Die Kehrseite der Medaille sind aber eine massive Steigerung der Komplexität des Fahrpersonalrechtes sowie direkte und indirekte negative Folgen für das Fahrpersonal und die Straßenverkehrssicherheit.

Quelle: IHK Stuttgart, Gesetze im Internet

2 comments for “Aus gegebenen Anlass – Diskussion über „Schichtzeit“ von Kraftfahrern

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