Verwirrung und „Jetzt will ich es genau wissen!“

In meinem Beitrag „Tägliche Höchstlenkzeit überschreiten?“ habe ich den Artikel 12 der VO (EG) 561/2006, die sogenannte „Notstandsklausel“ und deren Handhabung erklärt.

Bei einer Diskussion dazu wurde ein Aussage getätigt, dass mein Geschriebenes nur fast richtig sei. Auf Nachfrage erklärte der andere Diskussionspartner, dass man Artikel 12 nur verwenden darf, wenn man sich keinen Vorteil aus der Überschreitung „einfährt“, wie es in der Leitlinie 1 zur 561/2006 geschrieben steht, denn am Tag darauf müsse man diese Überschreitung zwingend von der Lenkzeit einsparen.

Beispiel:

Man nimmt Artikel 12 in Anspruch, überzieht z.B. um 30 Minuten. Laut der Aussage meines Gesprächspartners müsse man diese 30 Minuten von den am folgenden Tag zur Verfügung stehenden Std. Lenkzeit abziehen. Somit dürfte man auf 9 Std. gesehen nur noch 8,5 und auf 10 Std. nur noch 9,5 Std. Lenkzeit fahren.

Nicht nur ich, sondern auch einige anderen Gesprächspartner der Diskussionsrunde waren zum Teil verwirrt und zum Teil davon überzeugt, dass diese Aussage keinerlei Grundlage hat.

Nach mehrmaligem Lesen der VO (EG) 561/2006, der Leitlinie 1 zur 561/2006, dem Bußgeldkatalog und wälzen von allen mir bekannten Verordnungen bezüglich Sozialvorschriften, bin ich weder auf diese Aussage respektive einen Artikel/Text/Paragraphen gestoßen, noch annähernd auf etwas, was diese Aussage untermauern würde. Die anderen „Zweifler“ ebenso wenig.

Wie gesagt, da mich dieses auch verwirrt hat, zumal ich nach einigen Gesprächen mit Dozenten, die auch noch nie etwas von diesem „Nachholen“ gehört oder gelesen haben, fest überzeugt war, dass das nicht stimmen kann, habe ich mich mit 2 Stellen in Verbindung gesetzt, die es meiner Meinung nach wissen müssten. Einen dritten Ansprechpartner habe ich per Email um eine Aufklärung gebeten, welche aber noch nicht beantwortet wurde.

Zum einen war der erste Ansprechpartner bei der Bezirksregierung Arnsberg, zuständig für Sozialvorschriften und Betriebskontrollen in Speditionen und der zweite Ansprechpartner war vom Verkehrsdienst der Polizei, die regelmäßig Schwerlastkontrollen durchführen.

Beide telefonischen Gesprächspartner waren der gleichen Meinung wie ich und andere in der Diskussion: die zu viel gefahrene Zeit bei Artikel 12 muss man NICHT am anderen Tag nachholen! Man darf durch die erhöhte Lenkzeit nur nicht die erlaubte maximale Lenkzeit in der Woche und in der Doppelwoche (90 Std. Lenkzeit erlaubt!) überschreiten! Ein Einsparen der Lenkzeit ist nicht erforderlich!

Wie der Verkehrsdienst sagte, ist es immer im Ermessen der kontrollierenden Beamten, ob der Ausdruck nach Artikel 12 anerkannt wird. Das ist logisch. Wenn es eine Ausnahme war und sonst alles stimmig ist, steht einem OK seitens der Beamten nichts im Weg, die „Ausrede“ anzuerkennen. Wie gesagt: es ist eine Ausnahme-Regelung!

Als Beispiel nannte er:

Wenn man 3 Std. wegen eines Sturms die Lenkzeit überschreitet, kann man nicht am Ende der Doppelwoche 93 Std. Lenkzeit haben. Das wäre ein definitiver Verstoß, auch mit dem Artikel 12.

Ebenso sagte er, sollte man aufgrund einer solchen Aussage, man müsse die zu viel gefahrene Zeit aus der Inanspruchnahme des Artikel 12 tags darauf einsparen und man hat es nicht gemacht, eine Ordungswidrigkeitenanzeige bekommen, rät er definitiv dazu, dagegen angehen, sprich Einspruch zu erheben, da keinerlei gesetzliche Grundlage dafür vorhanden ist.

Zum Schluss möchte ich dringend noch ein paar Punkte zu diesem Thema und im allgemeinen loswerde:

1. Liebe Fahrer, kümmert Euch! Lest Euch in die Vorschriften für Berufskraftfahrer ein. Fragt, wenn etwas unklar ist! Informiert Euch! Denn nur so könnt Ihr teuren Bußgeldern aus dem Weg gehen!

2. Wenn Euch Bußgeldbescheide, die ihr bekommt, nicht gerechtfertigt vorkommen, lasst sie durch einen Anwalt prüfen. Wobei….solltet Ihr eigentlich generell machen, denn auch Bußgeldbescheide können falsch und/oder fehlerhaft sein.

3. Gebt bitte nichts auf diese „Ich hab da mal was gehört!“ und „Der Onkel meiner Tante ihrem Hamster hat gesagt…!“ Fraktion! Wichtig sind fundierte Aussagen, fundiertes Wissen! Keine Gerüchte oder Vermutungen!

Ausserdem: mit fundiertem Wissen stösst man bei einer Kontrolle auf jeden Fall auf mehr Respekt seitens der Beamten, als wenn man irgendwelche Sachen erzählt!

Mein Ausbilder hat vor Jahren mal folgendes gesagt:

„Man müsste Fahrern verbieten, sich zu unterhalten! So viele Halbwahrheiten und gefährliches Halbwissen, welches da verbreitet wird, ist grausam!“

In gewisser Weise muss ich ihm, wenn auch widerwillig, leider zustimmen. Denn oft kommen Fahrer aufgrund solcher Halbwahrheiten und gefährlichem Halbwissen in arge Bedrängnis.

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